Die Welt scheint sich jeden Tag ein wenig schneller zu drehen. Geopolitisch wie wirtschaftlich überschlagen sich die Ereignisse. Die schiere Menge an Nachrichten, die es jeden Tag zu bewältigen gibt, wächst dabei in gleichem Maße wie die Fähigkeit schwindet, Echtes von Unechtem und Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Welche Auswirkungen hat das auf die Kommunikation und all jene, deren Profession es ist, für Unternehmen und Organisationen Sichtbarkeit zu schaffen? Unsere Expert:innen wagen den Blick nach vorn: Sie fassen wesentliche Trends der PR und Öffentlichkeitsarbeit zusammen – und was das für Kommunikationsprofis bedeutet.
Eduard Weber-Bemnet
In der Offensive: Das Stakeholder-Management im öffentlichen Bereich muss proaktiver werden.
Sowohl Unternehmen als auch öffentliche Institutionen, die die Infrastrukturentwicklung in Deutschland vorantreiben, sehen sich mit einer sich verändernden Öffentlichkeit konfrontiert: Verwaltungsverfahren werden zunehmend in Frage gestellt und das Vertrauen in demokratische Repräsentanten sinkt. Während früher große Entwicklungsprojekte im Verkehrs- und Energiesektor sowie in der Versorgungswirtschaft von öffentlichen Vertretern und Interessengruppen in einem festgelegten, moderierten Prozess diskutiert, verhandelt und entschieden wurden, müssen heute offener Dissens und öffentliche Empörung berücksichtigt werden. Inmitten gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen über die Kosten des Klimawandels und der Klimaschutzmaßnahmen, des wirtschaftlichen Abschwungs, der Inflation und eines toxischen geopolitischen Umfelds ist eine neue, rauere Kultur der Debatte und des Protests entstanden. Wer in Deutschland in den öffentlichen Raum eingreifen will, muss daher die Kommunikation intensivieren und proaktiv auf die Bedürfnisse und Sorgen aller Beteiligten eingehen.
Mehr zum Thema Stakeholder Management und Baustellenkommunikation hier.
Christian Hildebrand
Community Management im Real Estate Sektor: Gemeinschaftsförderung wird zum Erfolgsfaktor.
In der Immobilienvermarktung ist die Integration von Community Management in die Standortentwicklung nicht mehr nur innovativ, sondern essenziell. Eine starke, engagierte Gemeinschaft erhöht die Attraktivität eines Standortes signifikant, was zu einer stärkeren Nachfrage und damit auch einer Wertsteigerung führt. Das Verständnis für und die Erfüllung von den Bedürfnissen der Bewohner:innen sind dabei von entscheidender Bedeutung. Wer aktiv auf seine Mieter:innen zugeht, Feedback einholt und Anregungen aufnimmt, kann Dienstleistungen verbessern und damit wiederum die soziale Nachhaltigkeit und das Gemeinschaftsgefühl stärken. Immobilienentwickler und -verwalter sollten daher Gemeinschaftsbildung und -management als integralen Bestandteil ihrer Strategie betrachten, um den langfristigen Erfolg ihrer Liegenschaft zu sichern.
Willi Cornel
Nachhaltigkeitsreporting differenziert sich aus: Aus einem Medium werden viele.
ESG-Reporting wird mit zusätzlichen gesetzlichen Pflichten formeller und datenbasierter: Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) soll die Transparenz und Verbindlichkeit von Nachhaltigkeitsinformationen erhöhen und vor allem Finanzmarktteilnehmern eine bessere Bewertbarkeit erlauben. Für andere geht ein solches, an erforderlichen Datenpunkten orientiertes Reporting allerdings zu Lasten von Lesbarkeit und Story. Die Konsequenz: Unternehmen werden sich mit der Herausforderung konfrontiert sehen, ihre jeweiligen Zielgruppen, intern wie extern, auf anderen Wegen und mit anderen Geschichten zu erreichen – nicht länger über ein zentrales Medium „Report“. Nachhaltigkeitskommunikation muss differenzierter, dezentraler und adressatengerechter werden, wenn sie im Sinne des Unternehmens wirksam sein und Nutzen stiften soll.
Mehr zur Ausweiterung der Berichtspflichten und neuen Regulatorik hier.
Manuel Klumpp
Der Faktor Mensch: Kommunikation auf Augenhöhe wird wichtiger denn je.
In einer Zeit, in der künstliche Intelligenz, computer-generierter Content und automatisierte Serviceleistungen eine immer größere Rolle spielen, ist es für die externe wie interne Unternehmenskommunikation von immenser Bedeutung, Narrative, Botschaften und Werte mit echten Menschen und Geschichten zu verknüpfen. Menschen neigen schließlich dazu, sich mit anderen Menschen zu identifizieren. Sie suchen Vorbilder, Mitstreiter, Ratgeber und auch Widersacher – und das findet sich nur schwer in abstrakten Strukturen und automatisierten Prozessen. Für eine tiefere Verbindung sorgen eine direkte, persönliche Ansprache und echte Kommunikation auf Augenhöhe. Menschen fühlen sich damit ernst genommen, bauen Vertrauen auf und sind eher gewillt, den entsprechenden Marken und Unternehmen zu folgen.
Christina Weninger
Die neue soziale Währung: Authentizität wird zum Schlüssel erfolgreicher Social-Media-Kommunikation.
Mit dem Vormarsch künstlicher Intelligenz wird Authentizität zu einer Schlüsselkomponente für erfolgreiche Social-Media-Kommunikation. Seit 2023 überschwemmen Fake News und Bot-Inhalte unsere Social Feeds in einer noch nie dagewesenen Menge: Das Erstellen von Masseninhalten – oder besser gesagt: das Erstellen von Bots, die Masseninhalte erstellen – ist sehr einfach geworden. Das haben auch die Verbraucher bemerkt. Sie beginnen alles, was sie online sehen, zu hinterfragen. Kommunikationsexperten und Vermarkter müssen sich daher nicht nur neue Wege überlegen, um ihre Zielgruppe zu erreichen, sondern sie auch davon überzeugen, dass das, was sie ihnen zeigen, wahr ist. Ob sie nun Etiketten für Inhalte verwenden, die ohne künstliche Intelligenz erstellt wurden, oder Kampagnen erstellen, die sich auf ungefilterte Live-Kommunikation konzentrieren – der künstlichen Welle entgegenzuwirken, wird Social-Media-Experten 2024 herausfordern.
Julia Breitmoser
Unternehmenskultur im Wandel: Sprache wird zunehmend zum Produktivitätsfaktor.
Da Unternehmen zunehmend auf globale Talentpools zurückgreifen, erhält eine kultursensible und nichtdiskriminierende Sprache endlich die Aufmerksamkeit, die sie verdient. Es reicht nicht aus, Diversity als ein reines Problem der Personalbeschaffung zu betrachten. Vielmehr müssen Unternehmen einen Transformationsprozess durchlaufen, um ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das wirklich alle einbezieht und für alle produktiv ist. Ein Schlüssel zur Veränderung liegt in der Unternehmenssprache. Mit einem geschärften Bewusstsein für sprachliche Nuancen und kulturelle Bezüge muss die Unternehmenskommunikation vielfältige Perspektiven einbeziehen, visualisieren und fördern. Dieser Wandel ist nicht nur rechtlich und ethisch ein Muss, sondern auch die Grundlage einer verbindenden, respektvollen und leistungsstarken Arbeitskultur, die das volle Potenzial ihrer vielfältigen Belegschaft freisetzt. Nur wer Ausgrenzung wirklich beseitigen will, wird in der Lage sein, Innovation, Teamdynamik und den Gesamterfolg des Unternehmens zu stärken.
Regina Bruschke
Vielfalt ist wichtig: Unternehmenskommunikatoren dürfen Stellung beziehen.
Inmitten der wachsenden Debatte um eine Woke-Kultur in Deutschland sind Unternehmen gut beraten, ihre Haltung in Sachen Diversität zu überdenken. Klare Unternehmenswerte sind wichtiger denn je, da die gesellschaftskritische und politisch aktive Generation Z sowohl den Arbeits- als auch den Verbrauchermarkt verändert. Sie fordert offen einen diskriminierungsfreien Arbeitsplatz und konzentriert ihre Ausgaben auf Marken, die ihre sozialen und politischen Überzeugungen widerspiegeln – und lehnt Unternehmen ab, die Vielfalt als reine Marketingstrategie betrachten. Gleichzeitig führen Diversitätsmaßnahmen wie geschlechtsneutrale Sprache oder positive Einstellungskriterien zunehmend zu Gegenreaktionen, lösen kontroverse öffentliche Debatten und Empörung aus. Das Thema birgt emotionalen Zündstoff. Unternehmen können so leicht in schwierige Situationen geraten, die am besten mit einer starken Positionierung und einer Unternehmenskultur zu meistern sind, die Kritik von außen standhält.